Dr. phil. Andreas Heyer
Ein Utopiespezialist
Aktuelle deutsche dnb Buch => <= dnb Buch 166s |
|
dnb Person
dnb Nummer (50) detopia: |
|
Zum Autor # Andreas Heyer, Dr. phil., Jg. 1974, Politikwissenschaften und Jura. Von 2000 bis 2002 war er Stipendiat der Graduiertenförderung des Landes Sachsen-Anhalt, im Anschluss dann Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. 2003
promovierte er mit einer Arbeit über „Diderots politische Philosophie“. Seit 2012 ist er der Herausgeber der „Nachgelassenen Schriften“ Wolfgang Harichs. # Kontakt über: andreasheyer2002 (at) yahoo.de.
Ökologie und Opposition (2009)
Die
politischen Utopien
Philosophische
Gespräche Nr. 14 Bestellung: helle-panke.de/article/547.oekologie-und-opposition.html Inhalt
1.
Annäherung an die Thematik
Studien zu Wolfgang HarichZweite, völlig überarbeitete und erweiterte Auflage / von Andreas HeyerDie zweite Auflage der Studien zu Wolfgang Harich enthält 13 Aufsätze des Autors, die in den letzten Jahren entstanden sind. Darunter Studien zu den Debatten um Hegel und um die Logik, zu Harichs wissenschaftlichen Forschungsschwerpunkten sowie zu seinen ökologischen Überlegungen der 70er und 80er Jahre.
Freiheit im Nirgendwo. Das linke Ding der Utopie. Seit den Tagen von Marx und Engels ist das Verhältnis der Linken zum alternativen Denken diffiziler Natur. In dem vorliegenden Essay geht der Autor der Frage nach, wie und in welchen Formen sich Marxisten, Sozialisten und Sozialdemokraten zur Utopie positionierten. Dabei kommen auch zahlreiche heute in Vergessenheit geratene Theoretiker zu Wort: Beispielsweise Gustav Landauer, Max Adler, August Bebel oder Paul Lafargue. Daneben finden sich gute Einblicke in verschiedene Stadien des Prozesses der Aneignung und Kritik der Utopie durch die Linke: Die Utopieproduktion um 1900, die russische Entwicklung seit der Oktoberrevolution oder die spezifische Entwicklung in der DDR. In einem abschließenden Kapitel steht dann das Beziehungsgeflecht unserer Moderne zur Utopie im Mittelpunkt. Die vergessene Verfassung der Jakobiner von 1793 und die Praxis ihrer Herrschaft
Aus dem Vorwort Öko-Opp-DDR, von Heyer, Andreas Auf den folgenden Seiten beschäftigen wir uns mit den Konzeptionen von Harich und Havemann. Bahros Werk wird weitestgehend ausgeklammert, da es relativ gut erforscht und außerdem der Antagonismus von Harichs und Havemanns theoretischen Konzeptionen größer und offensichtlicher ist. Zuvor muss noch eine letzte einführende Frage geklärt werden: Ist es legitim, die genannten Bücher als Utopien zu bezeichnen? Ja, wenn der Utopiebegriff reflektiert wird, der diesen Ausführungen zu Grunde liegt. So hat Utopie im allgemeinen Sprachgebrauch zwar eine pejorative Konnotation – wie phantastisch, nicht möglich, absurd etc. Doch in wissenschaftlicher Perspektive bezeichnet Utopie etwas anderes: Es ist davon auszugehen, dass eine politische Utopie immer dort vorliegt, wo ein Autor seine jeweilige Gegenwart einer kritischen Analyse unterzieht. Diese Kritik lässt er dann nicht, wie etwa bei den Zeitdiagnosen, für sich stehen, sondern konfrontiert ihr ein (positives oder negatives) Alternativszenario. Entscheidend ist, dass das alternative Bild seine Legitimation erst aus der Kritik zieht. Hinzu tritt, dass politische Utopien normativ wirken wollen. So können sie zwar durchaus Reformpläne enthalten, ihre Kraft bezieht sich aber auf die Imagination, auf das Anregen zum Diskutieren und Nachdenken. Utopien sind intellektuelle Experimente, die Möglichkeiten ausloten, das „Was wäre wenn?“ thematisieren. In diesem Sinne sind die Bücher von Harich, Havemann und Bahro in die Tradition der politischen Utopie zu stellen. Nicht zuletzt, da wir am Ende dieser Ausführungen noch sehen werden, dass alle drei eben diese Tradition positivierten und als Maßstab (sowie auch als gleichsam archimedischen Punkt) für ihr eigenes Oeuvre akzeptierten. #
Lesebericht von Amberger über Heyer 2009 - Ökologie und Opposition
in
Tarantel Juni 2009
Zu Beginn der Siebziger Jahre wurde die Umweltproblematik durch die Berichte an den "Club of Rome" und ähnlich gelagerte Bücher (wie etwa Gordon Rattray Taylors "Doomsdaybook" oder Herbert Gruhls "Ein Planet wird geplündert") einer breiten Öffentlichkeit bewusst. Diese Schriften entstammten bürgerlichen, teils sogar konservativen Kreisen. Plötzlich waren Ressourcenknappheit, die Bevölkerungsexplosion, Umweltverschmutzung und Technikskeptizismus Schlagworte des öffentlichen Diskurses. Zeitgleich erlebte in den USA das Genre der politischen Utopie seine Wiedergeburt. Dazu muss man wissen - und der Politikwissenschaftler Andreas Heyer stellt das in seiner Broschüre "Ökologie und Opposition" verständlich dar -, dass sich dieses Genre in zwei grundlegende Entwicklungslinien unterteilt: Zum einen gibt es den archistischen Utopietyp, der auf die "Utopia" von Morus zurückgeht und einen starken bis allmächtigen (Verteilungs-)Staat konzipiert. Zum anderen existiert die jüngere Linie der anarchistischen Utopien, die erstmals im Frankreich der frühen Aufklärungszeit entstanden. Die archistische Linie wurde im 20. Jahrhundert durch die real existierenden Diktaturen diskreditiert und mittels der schwarzen Utopien (wie Orwells "1984" oder Huxleys "Schöne neue Welt") entmündigt. Damit schien auch das Ende der Utopie als Ganzes besiegelt. Doch der anarchistische Zweig blühte in den siebziger Jahren wieder auf, integrierte dabei die Selbstkritik des Genres durch die schwarzen Utopien und sorgte für für eine Renaissance der politischen Utopie. In der Forschung werden diese Schriften als postmaterielle, postmaterialistische oder auch neue Utopie bezeichnet. Ernest Callenbachs "Ökotopia" und Ursula K. LeGuins "Planet der Habenichtse" sind die wohl bekanntesten Texte dieses Genres. Es entstand in den USA und nahezu alle diese Utopien kommen auch von dort, wie Heyer feststellt. Darum ist es um so bemerkenswerter, dass ausgerechnet in der kleinen DDR ebenfalls Utopien dieser Art verfasst wurden. Weder in anderen Ländern des sog. "Ostblocks", noch in den kapitalistischen Staates Westeuropas wurden zu dieser Zeit ähnliche Konzepte entworfen. Für die DDR sind dabei drei Schriften hervorzuheben: Wolfgang Harichs [1] "Kommunismus ohne Wachstum?" (1975), Rudolf Bahros [2] "Die Alternative" (1977) und Robert Havemanns [3] "Morgen" (1980). Andreas Heyer klammert in vorliegender Broschüre Bahros Schrift aus, da diese bereits in weiten Teilen utopiegeschichtlich erforscht sei. Die anderen beiden Texte [4] vergleicht er miteinander. Während Havemann eine anarchistische Utopie schrieb, habe Harich als einer von ganz wenigen Autoren versucht, das Genre der archistischen Utopie wieder zum Leben zu erwecken. Das Resultat ist bemerkenswert. Heyer meint sogar: "Harichs Werk nimmt innerhalb der Utopieliteratur des 20. Jahrhunderts eine herausragende Stellung ein." Doch was ist daran so besonders? Harich denkt den Verzichtsgedanken mit allen möglichen notwendigen Konsequenzen zu Ende. Der Kommunismus der SED gehe vom Wachstum aus. Der "Springquell allen Reichtums", wie ihn Marx in seiner "Kritik des Gothaer Programms" prognostizierte, könne der Kommunismus der Zukunft aber aufgrund der ökologischen Krise nicht mehr werden. Vielmehr sei ein Zurück zum asketischen Verteilungskommunismus Babeufs nötig. An dessen Spitze stehe eine Weltregierung, die nahezu unbeschränkte Befugnisse habe. Bürgerliche Menschenrechte werden zu Gunsten der Natur aufgehoben. Alles wird reglementiert: von den Geburten über die Lebensmittel bis hin zum Wohnraum. Dieses Konzept Harichs wirft natürlich Widersprüche auf, denen Heyer nachgeht. Er verortet den Text in Harichs Biographie (man denke daran, dass er 1957 zu 10 Jahren Zuchthaus wegen seiner Ulbricht-feindlichen "Plattform" verurteilt wurde) und würdigt Harich als frühen ökologischen Denker innerhalb des Marxismus. Havemanns "Morgen" sei hingegen eine klassische postmaterialistische Utopie anarchistischen Typs. Er verbindet den Anarcho-Kommunismus Kropotkins mit dem Ökodiskurs der Siebziger. Seine Utopie beschreibt einen anderen Ausweg aus dem ökologischen Desaster der Gegenwart. Nicht ein Mehr an Diktatur sei nötig, wie es Harich vorschwebt, sondern ein "Dritter Weg" zwischen realem Sozialismus und Kapitalismus. Auch Havemanns Ansatz hat Stärken und Schwächen, die Heyer aufzeigt. Summa summarum ist "Ökologie und Opposition" eine lesenswerte und zu diesem Preis unschlagbare Einführung in das Thema. Der Autor stellt die beiden Texte verständlich dar, ordnet sie in die Utopiegeschichte ein und betont ihre Mängel und Vorzüge. # |